inspiriert von Bas Kast: „Wie der Bauch dem Kopf beim Denken hilft“ und Gerald Hüther: „Die Macht der inneren Bilder“
Was im antiken Athen mit den Ideen eines Sokrates begann, prägte unsere Philosophie über Jahrhunderte. Ratio, Logos, „vernünftiges“ Handeln – das war das angestrebte Ziel. Gefühle und Bedürfnisse waren da eher suspekt, galten gar als hinderlich beim klaren Denken, das uns als Menschen vom Instinkt-getriebenen Tier unterscheiden sollte. Im Vergleich zum selbst zu unseren nächsten Verwandten, den Primaten, weist das menschliche Gehirn einen viel größeren Stirnlappen auf als das aller anderen Lebewesen – das ist die Hirnregion, mit der man Handlungsplanung, abstraktes Denken und Persönlichkeit verbindet. Und wir Menschen verfügen als einzige über die Sprache als Verständigungsmittel.
Eine abstrakte Sprache ermöglicht uns erstmals in der Evolution anders als durch direkte Erfahrung zu lernen. Tiere und Kleinkinder v0r dem Spracherwerb lernen durch unmittelbare Beobachtung: hat ein Kind sich an der Herdplatte verbrannt oder gesehen, wie sich ein Geschwister verletzt hat, so ist im Gedächtnis „Achtung Gefahr“ abgespeichert und es wird nicht wieder auf die Herdplatte fassen. Mit der Sprache ist diese mühsame und gefährliche Art des Lernens nicht mehr nötig: Sobald die Begriffe „heiß“ und „gefährlich“ mit einem inneren Bild verbunden werden können, ist es nicht mehr notwendig, sich selbst in Gefahr zu bringen, um zu verstehen. Sprache ist also ein sehr effizienter Weg, Informationen von Mensch zu Mensch und Generation zu Generation weiterzugeben.
Und so entwickelt unser Schulsystem bis heute vor allem die sprachliche und rationale Kompetenz. Alles muss messbar, beweisbar, logisch und stichhaltig argumentierbar sein. Exakte Wissenschaft und bewusste rationale Entscheidungen sind gefordert. Daraus ergeben sich vermeintlich die Innovationen, die auch die Wirtschaft voranbringen werden.
Erkenntnisse der Neurowissenschaften zeigen heute ein anderes, viel komplexeres Bild:
Das bewusste Ich, das Ich, das wir kennen und sprachlich gut beschreiben können (=Sprach-Ich), ist in Wahrheit nur die Spitze des Eisbergs all der Schichten, die uns ausmachen. Unser Verstand ist zugegeben sehr effizient: er arbeitet extrem fokussiert und blendet alles Unnötige aus. Das bedeutet aber eben auch, dass er weniger als ein Promille der ständig auf uns einströmenden Informationen nutzt! Etwa 11 Millionen (11 000 000) Bits verarbeitet unser Gehirn in jeder Sekunde, Informationen, die von all unseren Sinnesorganen ständig ankommen, aber nicht ins Bewusstsein dringen. Bewusst werden uns nur die Dinge, die „wichtig“ erscheinen, weil sie zum aktuellen Fokus des Verstands passen (Wenn Sie gerade daran denken, ein bestimmtes neues Auto zu kaufen, begegnet ihnen dieses Modell plötzlich ständig auf der Straße) oder bedrohlich sind (Wenn es nach Feuer riecht und in ihrem Büro zu qualmen beginnt, wird die Quartalsabrechnung plötzlich völlig unwichtig).
Unser Unterbewusstsein dagegen saugt alle Informationen auf wie ein Schwamm (Sinnenreize, innere Bilder, Erfahrungen =Erfahrungs-Ich). Und filtert sie. Es entscheidet, was wichtig genug ist, um ins Bewusstsein zu dringen. Wenn wir glauben, dass wir „ganz rational“ handeln und entscheiden, hat das Unterbewusste längst entschieden. Es ist viel schneller darin. Und das machte auch Sinn: Wenn Sie vor dem Säbelzahntiger stehen, haben Sie keine Zeit abzuwägen, ob totstellen, angreifen oder fliehen die beste Option ist. Der Herzschlag beschleunigt sich, die Muskeln werden stärker durchblutet, ein Adrenalin-Stoss verleiht ungeahnte Kräfte. Sie handeln instinktiv und sofort.
Die große Stärke des Verstandes ist also seine Effizienz. Der Verstand ordnet, vermindert die Komplexität, indem es viele Reize ausblendet und hemmt auch viele Impulse, die bei klarem Verstand eben nicht die besten Ideen sind (das 5. Stück Schokolade z.B.). Die Stärke des Unbewussten ist seine unfassbare Kapazität. Und seine Flexibilität: verschiedenste Sinneseindrücke, Stimmungen und Gefühle werden zugelassen und versetzen das Gehirn in verschiedene „Aktivierungsmuster“. Was der Verstand als „Störsignal“ einfach ignoriert, kann unbewusst wahrgenommen und verarbeitet werden. So entstehen hier im Unterbewusstsein ständig neue Ideen. Aus dem Chaos der Reize und Nervenimpulse erwächst erst Kreativität!
Den Verstand benötigen wir im kreativen Prozess dennoch: Es ist seine Aufgabe, neue Ideen einer Machbarkeits- und Realitätsprüfung zu unterziehen (Der fliegende rosa Elefant ist doch eher eine Wolke im Abendlicht, kann aber eine tolle Inspiration für ein surrealistisches Gemälde sein.) Innovationen setzen also eine Co-Produktion von Verstand und Unterbewusstsein, von Denken und Fühlen voraus. Ratio und Sprache haben wir alle bereits ein Leben lang trainiert. Da aber das Unterbewusstsein nicht durch Sprache zu erreichen ist, benötigt es ein anderes Training: Wenn sie kreativer werden möchten, lassen Sie ein wenig mehr Chaos in ihrem Kopf zu und nehmen Sie sich Zeit für die Fülle des Erfahrungs-Ichs: mit Bildern, Musik und Emotionen.
Wenn Sie noch mehr darüber wissen möchten, wie das Gehirn funktioniert, dann kommen Sie doch im Mai in meine Vortragsreihe zur Theory of Mind in die VHS Holzkirchen: