Hilft es, in der Nacht vor der Prüfung mit dem Lehrbuch unter dem Kopf zu schlafen? Die überraschende Antwort: Wenn man es zuvor auch gelesen hat, dann wahrscheinlich ja!
Neuere Forschungen zum Zusammenhang von Schlaf und Gedächtnisfunktionen bestätigen tatsächlich, was bereits im 19. Jahrhundert vermutet wurde. Im Tiefschlaf werden Gedächtnisinhalte nochmals aktiviert und damit konsolidiert. Dabei werden neu gelernte Informationen aus dem limbischen System, genauer dem Hippocampus, wo sie tagsüber zunächst gespeichert wurden, in Netzwerke der Großhirnrinde integriert. Dies ist für die Langzeitspeicherung von Gedächtnisinhalten notwendig und betrifft vor allem Faktenwissen sowie die räumlichen und zeitlichen Zusammenhänge von Ereignissen.
Aber warum geht das nicht ohne Schlaf? Der Grund dafür scheint zu sein, dass das Zusammenwirken von Hippocampus und Großhirnrinde (die sogenannten hippocampokortikalen Projektionen) im Wachzustand unterdrückt wird. Erst im Tiefschlaf sinken die Spiegel des Botenstoffs Acetylcholin und des Stresshormons Cortisol. Daraufhin kann eine Synchronisation zwischen limbischen System und Großhirn stattfinden, die man sogar in der Hirnstromkurve beobachten kann. Der Sinn könnte darin liegen, dass das Gehirn im Schlaf keine neuen Reize von außen aufnehmen muss und sich quasi sich selbst widmen und sich selbst trainieren kann.
Verschiedene Studien belegen, dass die Erinnerungsleistung, z.B. für Memory-Bildpaare oder Wortlisten, tatsächlich durch Schlaf verbessert wird. Gesunder Schlaf fördert also die Gedächtnisleistung.
Aber das ist noch nicht alles. Auch für den Umgang mit emotional belastenden Erlebnissen ist der Schlaf entscheidend: In der REM-Schlafphase (rapid eye movement, eine Schlafphase mit reger Hirnaktivität, schnellen Augenbewegungen und Träumen bei unterdrückter Muskelaktivität) werden zwar einerseits solche Erlebnisse im Gedächtnis verankert, gleichzeitig aber die damit verbundenen „negativen“ Emotionen wie Ängste und Trauer abgebaut. Damit hilft Schlaf, belastende Ereignisse verarbeiten und loslassen zu können.
Was bedeutet das im Umkehrschluss? Haben Sie auch schon einmal bemerkt, dass Sie sich nach stressigen Phasen in Ihrem Leben kaum noch erinnern können, wann was passiert ist? Dass Ihnen das Zeitgefühl verloren geht und es schwer fällt, sich etwas zu merken – und sei es nur, wo der Autoschlüssel gerade wieder hingekommen ist…
Wenn wir beruflich oder auch in der Familie gerade sehr gefordert sind, bleibt oft nicht genug Zeit für ausreichenden Schlaf. Und wenn dazu noch Sorgen kommen, die uns schlecht schlafen lassen, wenn wir grübeln und immer wieder wach werden, dann ist der Schlaf nicht nur verkürzt sondern auch zu flach, um Tiefschlaf-Phasen zu erreichen. Darunter leidet aber nicht nur unser Gedächtnis, sondern auch die Stimmung!
Chronischer Schlafmangel, hier vor allem ein zuwenig an REM-Schlaf, kann Depressionen verstärken oder sogar auslösen. Die notwendige Verarbeitung emotional aufwühlender Erlebnisse ist nicht mehr in ausreichendem Maße möglich. Folglich bleiben „negative“ Emotionen präsent, verstärken sich, verhindern den guten Schlaf und erzeugen somit einen Teufelskreis: Niedergeschlagenheit – schlechter Schlaf – fehlende Verarbeitungsmöglichkeit – Niedergeschlagenheit usw.
Erholsamer Schlaf ist also kein Luxus. So paradox es klingt: Gerade wenn Sie keine Zeit haben, sollten Sie sich die Zeit für ausreichenden Schlaf nehmen. Denn dann sind Sie in kritischen Zeiten gelassener, können während Prüfungsphasen besser lernen und finden kreativere Lösungen. Das macht Sie erfolgreicher und vermindert neue Stressauslöser. Und Burnout ist für Sie kein Thema.
Informationen beruhend auf: Göder, Nissen, Rasch: „Schlaf, Lernen und Gedächtnis: Relevanz für Psychiatrie und Psychotherapie“, Nervenarzt 2014, 85:50-56