Stressreaktion und gesunde Führung

(c) Eike Hoffmann 2015

Basierend auf Matthew MacDonald „Your brain the missing manual“ und Gerald Hüther „Biologie der Angst“ 

„Haben Sie Stress oder sind Sie nicht normal?“ las ich vor kurzem in einer Zeitschrift. Stress ist in aller Munde und wird für die Zunahme von Depression und Burnout ebenso verantwortlich gemacht wie für Herzinfarkte und Krebserkrankungen. Und das ist auch nicht ganz unberechtigt, wie ich unter https://ehcoach.com/2013/02/04/fehlende-anerkennung-depressionsrisiko-und-korperliche-folgen/ ausgeführt habe.  

Was genau passiert bei Stress? Lassen Sie uns einen Blick in unser Gehirn werfen: Wenn wir mit einer unbekannten, neuen Situation konfrontiert werden, bewerten wir mehr oder weniger bewusst, ob diese Situation für uns bedrohlich ist. Auf der Ebene des limbischen Systems wird vor allem der Mandelkern (Amygdala) aktiviert, der selbst unter Umgehung des Großhirns eine Alarmreaktion auslösen kann. Dazu werden Kerngebiete im Hirnstamm aktiviert, die das vegetative Nervensystem und die Nebennieren ansprechen und für den Adrenalinstoß sorgen. So spüren wir manchmal schon körperlich am Herzrasen und den feuchten Händen eine Bedrohung, lange bevor wir sie bewusst wahrnehmen. Ein Mechanismus, der sich als sinnvoll erweist, wenn Sie vor einem Säbelzahntiger stehen. Denn dann ist es gut, wenn Sie schon weglaufen, bevor Sie darüber nachdenken können, ob er Haustier, nächste Mahlzeit oder Feind sein könnte.  

Der Mandelkern ist aber auch mit den Zentren im Großhirn (genauer im präfrontalen Cortex) verschaltet, in denen wir Situationen bewusst bewerten. Je nachdem, ob wir etwas harmlos oder gefährlich finden, wird der Mandelkern eingebremst oder weiter aktiviert.

Erst wenn die Situation unkontrollierbar wird und es nicht gelingt, die Bedrohung abzuwenden, schaukelt sich die Aktivierung zwischen Großhirn, Mandelkern und noradrenergen (von Noradrenalin, einem Andrenalin-Verwandten) Kerngebieten im Hirnstamm weiter auf. Dann wird die Hypophyse aktiviert und Cortisol freigesetzt – mit den bekannten negativen Folgen für das Immunsystem, die Insulinresistenz und den Hirnstoffwechsel selbst. Das Ergebnis einer solchen Stressreaktion ist langfristig ein Gefühl von Hilflosigkeit, Hoffnungslosigkeit, Verzweiflung – eine Depression. 

Das ist jedoch nur ein Aspekt, denn auch die Stressreaktion hat zwei Seiten: Solange eine Situation kontrollierbar bleibt und bewältigt werden kann, wird ausschließlich Noradrenalin freigesetzt. Dieses fördert die Durchblutung, und damit die Sauerstoff- und Glucose-Versorgung des Gehirns. Zusätzlich werden Stoffe freigesetzt, die das Wachstum von Axonen und die Bildung neuer Synapsen anregen (sogenannte neurotrope Faktoren, brain-derived neurotrophic factor, BDNF). Unter dem Einfluss der Stressreaktion werden also neue, zur Bewältigung dienende Netzwerke gebildet und gefestigt.  

Werden wir häufiger neuen Situationen ausgesetzt, die wir erfolgreich bewältigen können, entstehen durch diesen Anpassungsmechanismus immer mehr nutzbare Netzwerke im Gehirn. In der Folge dieser Neuroplastizität gibt es weniger Situationen, die Angst auslösen und Stressreaktion fallen geringer aus – wir werden resilienter. 

Ob überhaupt eine Stressreaktion ausgelöst wird, hängt nicht von der Situation, sondern ausschließlich davon, ab, wie wir sie bewerten: gefährlich oder nicht? Das hängt einerseits natürlich von unseren Erfahrungen und Kompetenzen ab – je mehr Situationen wir schon aus eigener Kraft bewältigt haben, um so weniger werden aufregen können. Es gibt aber auch noch einen anderen Faktor, der wesentlich dazu beiträgt, sich in anspruchsvollen Situationen nicht übermäßig gestresst zu fühlen: Gemeinschaft und soziale Unterstützung!  

Leider hat die Sache einen Haken: Während wir uns auf unsere eigenen Fähigkeiten verlassen können, können wir die Unterstützung anderer Menschen auch wieder verlieren. Und diese Vorstellung kann wieder Angst auslösen. Manchmal kann diese Angst geradezu lebensbedrohlich wirken. Und dann reagieren wir auf die (tatsächliche oder scheinbare) Bedrohung nicht nur mit Angst und Ärger, sondern mit Wut und Hass. 

Dazu schreibt Gerald Hüther so treffend: „Je dünner die Decke aus Liebe und Kompetenz ist, die ein Mensch gefunden hat, um damit seine größte Blöße, die nackte Angst, zu bedecken, desto intensiver und unversöhnlicher muss er diejenigen hassen, die ihm ein noch so kleines Stück dieses lebenswichtigen Schutzes vor den Folgen einer unkontrollierbaren Stressreaktion wegzunehmen drohen. Das können Fremde sein, die die bisherige Ordnung in Frage stellen, Konkurrenten, die seine Stellung bedrohen, oder Untergebene, die seinen Weisungen nicht folgen.“ 

Dies hat spannende Konsequenzen für die Art, wie im Management Führung gestaltet wird: Eine Führungskraft, die in fachlicher Kompetenz und / oder (Selbst-)Empathie (noch) nicht sattelfest ist, wird sich schwertun, genügende Ressourcen für einen empathischen Umgang mit Mitarbeitern zu finden. Die Wahrscheinlichkeit, dass eine solche Führungskraft sachliche Meinungsverschiedenheiten als persönlichen Angriff erlebt und darauf aggressiv abweisend reagiert, ist hoch. Damit löst sie bei den Mitarbeitern ein Gefühl des Kontrollverlusts aus, der in eine negative Stressreaktion müden und, wenn ein solcher Führungsstil langanhaltend praktiziert wird, zu stressbedingten Erkrankungen führen kann. 

Ein solcher Vorgesetzter wird außerdem aus der Angst vor dem Positionsverlust häufiger die Mitarbeiter befördern, die ihn nicht „bedrohen“ können, die also selbst auch nicht sattelfest sind und daher ebenfalls häufiger mit aggressivem Verhalten reagieren. So entsteht ein Teufelskreis, der einer innovativen, leistungsfähigen Unternehmenskultur diametral entgegensteht. 

Die gute Nachricht ist: Fachliche Kompetenzen UND menschliche Qualitäten wie gelassenes Selbstbewusstsein und Menschlichkeit lassen sich lernen! Um langfristig gesunde, motivierte Mitarbeiter zu haben, lohnt es sich, Führungskräfte nicht nur fachlich zu schulen, sondern auch in die Lage zu versetzen, mit sich selbst und den eigenen Gefühlen achtsam und empathisch umzugehen. Und damit Ressourcen für ein angstfreies und kreatives Miteinander freizusetzen.  Und dann können in neuen Situationen auch neue Lösungen entstehen. Der Stress wird zur Herausforderung, zum Eu-Stress. 

Wir können uns zurückziehen und über den Stress in der heutigen Zeit klagen. Oder wir können neue Lösungen suchen und eine neue Kultur mitgestalten. Ganz nach dem Prinzip:

                                „Wer kämpft, kann verlieren. Wer nicht kämpft, hat schon verloren“

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