
Am vergangenen Mittwoch hat die Fastenzeit begonnen. Was verbinden Sie mit diesem Begriff? Traditionelles Fasten dreht sich um die Ernährung. Verzicht auf Fleisch und Alkohol gehört dazu. Nicht wenige fasten heutzutage vegan. Clean Eating ist ein weiterer neuer Trend: kein Fastfood, kein hochverarbeitetes Essen, stattdessen stehen naturbelassene, möglichst frische Lebensmittel auf dem Speiseplan. Unter gesundheitlichem Aspekt ist dieser Trend sicher nicht verkehrt. Frisches Obst und Gemüse, hochwertige Zutaten – da macht das Kochen Freude und es schmeckt.
Doch halt: Bedeutet „gesundes Essen“ wirklich immer „bessere Gesundheit“? Gesundheit scheint unser oberstes Ziel geworden zu sein. Zahlreiche Ratgeber, Online-Angebote, Apps und Wearables verheißen Fitness und Leistungsfähigkeit. Was mir dabei Sorgen bereitet, ist der Trend zur immerwährenden Selbstoptimierung. Natürlich am besten im Vergleich zu anderen: Wer hat heute mehr Schritte gemacht, wer hat den schnelleren Lauf hingelegt, wer die meisten Kilometer im Fahrradsattel absolviert? Die Social media-Kanäle sind voll von Fotos attraktiver, junger Menschen, die offenbar erfolgreich, glücklich und begehrenswert sind. Sport und gesundes Essen werden zum Bewertungsmaßstab. Wer nicht mithalten kann, gehört nicht dazu. Als Ergebnis sehen wir immer mehr Depressionen, Suchterkrankungen und Essstörungen, nicht nur bei jungen Menschen. Orthorexie ist die krankhafte Beschäftigung damit, ausschließlich wirklich gesundes Essen zu sich zu nehmen. Die Gedanken darüber können den ganzen Tag ausfüllen. Alle anderen Interessen treten in den Hintergrund, Aufgaben, Hobbys und Freundschaften werden vernachlässigt. Ähnliches gilt für die Sportsucht.
Was uns verloren gegangen zu sein scheint, ist das normale Maß. Frisch und gesund essen und sich hin und wieder genussvoll ein Steak und ein Tiramisu gönnen. Rausgehen, Sport machen und die Bewegung genießen – genauso wie die Ruhe einfach mal gar nichts zu tun. Körper, Geist und Seele bilden eine untrennbare Einheit. Sie brauchen den Wechsel von Anregung und Anstrengung einerseits und Ruhe und Erholung andererseits. Und wir brauchen Lebensfreude und Leichtigkeit, auch weil sie gut für die Gesundheit sind.
Die Fastenzeit könnte also auch eine gute Gelegenheit sein etwas liebevoller mit sich umzugehen und auf den Perfektionsanspruch zu verzichten. Wie wäre es, in diesem Jahr einmal auf Ängste, Optimierungswahn oder Perfektionismus zu fasten? Wer weiß – mit Gelassenheit und Selbstfürsorge kommt die Lust, sich mit einem frisch gekochten, gesunden Essen und einem ausgedehnten Spaziergang zu verwöhnen, vielleicht ganz von allein…




Das Gemüt braucht
Ruhe zu seiner Zeit
die Seele
ist am Tag und
in der Nacht
am Werk